Ein Leben ohne Drogen

von Stephanie* 

„Ein Leben ohne Drogen“ – Lasst euch den Satz mal langsam durch den Kopf gehen.

„Ein Leben ohne Drogen“ – Das klingt doch irgendwie gut, oder? Wünscht sich das nicht fast jeder von uns Süchtigen, und wenn nur im tiefsten Innersten, aber wir hätten es schon irgendwie gern.

„Ein Leben ohne Drogen – Das wär schön, aber es ist sooo schwer aufzuhören.“ – Das haben wir sicher alle schon mal gesagt oder zumindest gedacht. Aber ehrlich: Ist es wirklich so schwer? Ist das nicht nur eine Ausrede?

Im Prinzip ist es nämlich einfach, damit aufzuhören. Würden wir uns nur eine Woche ins Bett legen und einfach keine Drogen angreifen, wäre alles vorbei. Der Körper wäre entgiftet. Klar, die Entzugserscheinungen jeder Art sind alles andere als angenehm. Doch das geht schnell vorbei. Diese Schmerzen überleben wir.

Wieso macht das nicht einfach jeder?

Genau – weil das nur ein kleiner Teil vom ganzen Entzug ist. Denn: Was ist nach dieser Woche?

„Ein Leben ohne Drogen – endlich!“ Doch wie geht’s weiter?
Was für ein Leben führen wir dann, ohne Drogen?
Was für ein Leben führten wir mit Drogen?
Was für ein Leben führten wir vor den Drogen?
Wollen wir wieder in unser altes Leben vor den Drogen?

Ich bin mir sicher, dass das weit über 50 Prozent von uns nicht wollen. Denn die meisten waren nicht zufrieden oder auch total unglücklich. Oder sie hatten ein traumatisches Erlebnis, dass sie vergessen wollten.

Was auch damals passierte – Drogen lassen nie vergessen, sie verdrängen nur Erinnerungen. Drogen täuschen uns hinterlistig und belügen uns. Sie belügen unser Gedanken und Gefühle. Und dann belügen und betrügen wir uns sogar selbst. Jeder Mensch hat mal Probleme oder schlechte Erlebnisse. Manche mehr, manche weniger. Und jeder geht anders damit um. Einige lösen ihre Probleme selbst, andere holen sich Hilfe jeder Art. Doch wir wählten den vorübergehend einfachsten Weg: Drogen. Mit Drogen können wir schnell und einfach alles vergessen. Den Alltag beiseite schieben und in eine andere Welt flüchten. Drogen machen glücklich, wir fühlen uns frei, die Probleme sind weg. Aber sie sind nicht wirklich weg, sie werden immer mehr. Das ist uns bewusst, aber wir wollen nicht dran denken. Deshalb denken wir nur daran, wie wir mehr Drogen bekommen.

Mein Tagesablauf ist fast immer gleich. Jeder hat seine Art gefunden, woher er Geld bekommt, um die Sucht zu finanzieren. Ich geh auf die Straße betteln. Ich geh betteln, hol mir Drogen, konsumiere Drogen, geh betteln, hol mir Drogen, konsumiere Drogen, geh betteln, hol mir Drogen, konsumiere sie… und so weiter. Dazwischen esse ich vielleicht etwas oder setz mich höchstens eine Stunde in die Sonne. Manchmal treff ich mich dann mit einer Freundin oder einem Freund. Doch das ist auch immer derselbe Ablauf: Wir unterhalten uns allerhöchstens eine halbe Stunde lang gut. Dann ist uns so langweilig, dass unsere Laune immer schlechter wird.
Wir wissen nicht, was wir machen sollen. Wir können stundenlang überlegen, uns fällt nichts ein. Und es kommt immer das selbe Ende: Wir besorgen uns irgendwie Geld und kaufen damit Drogen. Dann ist alles wieder in Ordnung. Doch leider wieder nur höchstens für eine halbe Stunde. Die Drogen sind aus – und uns ist langweilig.
Es geht also immer nur um Drogen.

Ich sag oft: „Hätte ich viel Geld, würde mir mehr einfallen, was ich unternehmen könnte.“ Aber wenn ich dann mal mehr Geld habe, ist es auch nicht viel anders. Mir fällt nicht mal mehr mit Geld viel ein, was ich machen könnte.
Naja, als Frau geh ich natürlich gern shoppen. Aber egal wieviel Geld ich hab, ich bin immer sparsam, damit mir ja genug für Drogen bleibt. Und das macht auch nur eine gewisse Zeit Spaß. Und danach? Ins Kaffeehaus mit einer Freundin oder einem Freund. Wir sitzen zehn oder 15 Minuten, dann wird uns langweilig. Hauptsächliches Gesprächsthema: Drogen. Also holen wir uns welche. Ein kleiner Spaziergang hinterher, später vielleicht ein Eis, und dann? Was kann man mit Geld unternehmen? Mir fällt nichts ein. Nichts macht mir Spaß. Wenn ich nicht mal mit Geld und Drogen weiß, was ich unternehmen könnte, wie soll ich dann ein Leben ohne Drogen führen?
Es ist also nicht der körperliche Entzug, der so schwer ist. Es ist unsere Psyche. Unser Denken. Wir müssten komplett umdenken.

Wir müssen lernen zu leben. Wir müssen versuchen, einen Sinn darin zu finden, wieso wir eigentlich leben. Jeder Mensch ist aus einem bestimmten Grund am Leben, jeder hat eine Aufgabe. Es ist sicher nicht der Sinn, als Drogenabhängiger dahinzuleben. Wir leben nur für den Moment. Wir denken nicht mal an morgen.

Das Sinnvollste wäre wohl, von ganz vorne zu beginnen. Nicht zurück ins Leben vor den Drogen, sondern ein neues Leben ohne Drogen. Nach dem körperlichen Entzug müssen wir viel nachdenken, uns selbst kennen lernen und zu uns finden. Wer bin ich? Wie bin ich? Was kann ich? Was sind meine Stärken und Schwächen? Und vor allem: Was will ich? Das sind wohl die wichtigsten Überlegungen, um das neue Leben zu beginnen. Und es sind auch die Schwersten.
Der nächste Schritt kostet auch viel Kraft und Überwindung. Überlegt euch mal, wie viele Freunde ihr habt. Echte Freunde, keine Drogen-Bekannten. Menschen, die immer zu euch halten, euch helfen, nicht belügen und nicht betrügen oder bestehlen. Bleibt jemand übrig, auf den das zutrifft? Ich denke, bei fast jedem höchstens ein oder zwei. Nehmen diese Personen auch Drogen, ist es noch schwerer aufzuhören. Denn sind diese noch nicht bereit aufzuhören, ist etwas Abstand nötig, um nicht ständig in Kontakt mit Drogen zu sein. Ist man selbst „geheilt“, kann man versuchen, demjenigen zu helfen. Bleibt niemand übrig, ist es auch nicht einfach. Wir wären dann ja ganz allein. Außer die Familie steht hinter uns, was bei mir nicht so ist.

Anfangs ist es sicher sehr schwer, Freunde zu finden, die nicht drogensüchtig sind. Worüber reden wir mit ihnen? Wir sind unser Leben mit Drogen gewohnt. Wir haben nichts „Normales“ getan. Was ist „normal“? Arbeiten gehen, fortgehen, mit Freunden was unternehmen vielleicht. Aber gerade das müssen wir erst wieder lernen. Vielleicht ist es am Besten, erst mal arbeiten zu gehen. Dort wären wir beschäftigt und lernen automatisch Leute kennen. Und das erste Gesprächsthema könnte über die Arbeit sein. Irgendwann kommt Routine in alles. Dann würde sicher alles Weitere von selbst kommen.

Ich kann mir momentan nicht vorstellen, ein Leben ohne Drogen zu führen. Ich würde es gern versuchen. Mir fehlt nur ein kleiner Ruck, um mich endlich zu trauen, mich meiner Probleme zu stellen und eine Lösung dafür zu finden. Ich muss meine Angst vor Veränderungen und allein zu sein ablegen. Ich weiß, ich schaffe es. Weil ich es will. Ich will eine Zukunft haben und raus aus der Gegenwart, damit sich mein Leben wieder weiterdreht und nicht nur steht. Jeder schafft es, ein Leben ohne Drogen zu leben. Aber nur mit Willen und Mut.

*Name geändert