Ursi fährt gerne in die Natur – auch mit Klient*innen. An der Maßnahme “Nadelfreier Wald” können Menschen teilnehmen, die nicht (mehr) intravenös Suchtmittel konsumieren oder das als Start nehmen möchten, um von der Nadel wegzukommen. Voraussetzung ist, dass der*die Teilnehmer*in substituiert und wohnversorgt sowie in Betreuung der Suchthilfe Wien ist.
“Dieses Rausnehmen aus dem Alltag und die Wirkung der Natur ist das Zentrale. Wenn du wo bist, wo du sonst nie bist, schaffst du es auch, gewisse Handlungsmuster abzulegen”, sagt Ursi. Deshalb hat sie eine Ausbildung zur naturtherapeutischen Erlebnispädagogin gemacht. Ansonsten ist die diplomierte Sozialarbeiterin im Jedmayer Tageszentrum tätig. Hier finden auch die ersten Infotreffen statt, bevor die freizeitpädagogische Aktion beginnt. Dafür braucht es nicht viel: einen Bus zum Fahren, ein paar geborgte Schlafsäcke von der Mobilen Sozialen Arbeit. Auch die Klient*innen bringen Dinge mit.
Die Maßnahme ist sehr strukturiert – bereits bei der Fahrt in das Waldlager beginnen die ersten Übungen. Die Klient*innen sind gefordert, sich selbst zu versorgen und beginnen mit einem Planen und Durchführen der Einkäufe. Die Regeln für den Ausflug, der bis zu 5 Tage dauert, werden ebenfalls gemeinsam erarbeitet. In der Natur wird gewandert, es gibt Übungen zum Körperbewusstsein und zu mentaler Stärke, abends am Lagerfeuer finden Reflexionen statt – durchgeplant vom Weckdienst bis zum Abendessen.
Das Waldlager ist sehr einfach: Offene Hütten zum Schlafen, eine Lagerfeuerstelle und viel Natur. Ursi erzählt von einem Klienten, der dort das erste Mal seit Jahren durchgeschlafen hatte.
Ursi berichtet von einer Klientin, deren Leben von massiver sexueller Gewalt geprägt war und der es sehr schwer fiel vom i.v. Konsum weg zu kommen. Beim Ausflug in den “Nadelfreien Wald” hatte sie dann aber sogar einmal vergessen, ihre Substitutionsmedikamente einzunehmen. Die Natur und die Arbeit mit ihrem Tagebuch hatten sie einfach darauf vergessen lassen. Das bedeutet nicht, dass die Klientin jetzt nicht mehr suchtkrank ist, aber sie ist mittlerweile stabil substituiert und versorgt.
Für Ursi und ihre Kolleg*innen ist die Maßnahme auch anstrengend. “Du bist vom Zähneputzen bis zum Plumpsklo beschäftigt. Aber es ist sehr bereichernd und es sind so schöne Erlebnisse dort. Ich bin so dankbar dafür.”
Ursi ist von der Kraft der Natur überzeugt und von der Wirkung auf ihre Klient*innen, die großteils schwer traumatisiert sind. Deshalb wird sie weiter mit ihnen in die Steiermark fahren, zur angeblich ältesten Eiche Europas und im Hotel der tausend Sterne übernachten – im Freien im Wald.
Hauptberuflich, neben ihrem Engagement in den freizeitstrukturierenden Maßnahmen arbeitet Ursi im Jedmayer Tageszentrum. “Ich mach‘ diese Arbeit jetzt seit 20 Jahren und es ist beachtlich – wenn ich an unsere Klient*innen denke – was der Mensch ertragen kann. Wenn ich die Hälfte der Geschichten erlebt hätte, die meine Klient*innen erlebt haben, wüsste ich nicht, ob ich jemals noch lachen könnte. Ein Klient hat mal zu mir gesagt: Und soll ich jetzt die ganze Zeit weinen?”